Offener Brief an Alexa Hennings

Sehr geehrte Frau Hennings,

mit bestem Dank bestätige ich den Empfang der CD mit der Sendung über Arnold Gustavs vom 17.7.2011. Den erbetenen Text der Sendung habe ich im Internet nicht gefunden. Lediglich die Kurzfassung mit dem Titel „Eine Sache der Ehre“. Mir geht es dabei um die Klärung von Fehldarstellungen und Verleumdungen.

Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, daß ich wenig erfreut über Ihre Sendung bin. Ich vermisse vor allem die journalistische Sorgfaltspflicht, ein zutreffendes Bild meines Großvaters zu vermitteln. Sie haben sich einseitig die Ansichten meines Bruders zu eigen gemacht, und ich habe den Eindruck, daß Sie mehr Freude an einer Schmähung als einer gerechten Würdigung gehabt haben, was ich sehr bedaure. Mein Bruder ist mit seinem Buch „Reichsgottesdienst“ in ein geistiges Niemandsland vorgestoßen und es mit seinen Fehlansichten besetzt. Es ist sehr bedauerlich, daß vor allem die Schulen es versäumt haben, die Geschichte des Nationalsozialismus umfassend darzustellen. Die Gründe sind naheliegend. Zum einen haben die Lehrer sich gescheut, die Geschichte darzustellen, weil sie selber mehr oder weniger darin involviert waren, und zum anderen haben die Siegermächte es so gewünscht, weil sie eine Wiederbelebung des Nationalsozialismus befürchteten. Will man nun die politische Wirksamkeit des Kirchenblattes „Der Bote für die Pommersche Frauenhilfe“ darstellen, dann müßte die gesamte damalige Medienwelt des Nationalsozialismus mit einbezogen werden. Auf diesem Hintergrund erscheint dann das Kirchenblatt nur als schwacher Abglanz ohne politische Wirksamkeit. Auf Grund des Befehls Nr. 4 des alliierten Kontrollrates vom 13. Mai 1946 sind sämtliche nationalsozialistischen Druckerzeugnisse wie Bücher, Zeitungen und Zeitschriften, die in Bibliotheken und Archiven lagern, auszusortieren und für die Öffentlichkeit zu sperren, was auch heute noch gilt. So ist diese Zeit in der Öffentlichkeit so gut wie gar nicht bearbeitet worden und bildet nun einen interessanten Nährboden für allerlei Fehldarstellungen. Dies nicht berücksichtigt zu haben ist ein schwerer methodischer Fehler, den Owe begangen hat. So stützt er sich irrtümlich auf den nun aufgefundenen „Boten“, und glaubt damit die politische Wirksamkeit der Kirche nachweisen zu können. Ich habe das Kriegsende und damit das Ende des Nationalsozialismus als 12jähriger mit wachen Sinnen miterlebt. Deutschland wurde damals von einer Welle schlechten Gewissens überzogen, denn die vielen Untaten und Verbrechen der Nazis waren ja inzwischen allgemein bekannt geworden, und jeder war daran interessiert, irgendwelche Involvierungen auszulöschen, was dazu führte, daß alle Materialien, die irgendwie geeignet waren, eine Mitwirkung mit dem Nazi-Regime zu belegen, zu vernichten. Da wurden Parteibücher und Pateiabzeichen vernichtet, Das Buch „Mein Kampf“ und andere parteinahe Schriften wanderten in den Ofen. Es wurde die gesamte Vergangenheit der letzten 12 Jahre sorgfältigst beseitigt. Und dann haben sie über ihre Vergangenheit geschwiegen. Haben ihren Kindern und Enkeln nicht erzählt, daß sie ja eigentlich Nazis gewesen sind. Und darin waren sie sich so einig, daß im historischen Bewußtsein ein weißer Fleck entstand, den nun Owe als ahnungsloser Hobbyhistoriker entdeckt und mit seinem Fund jetzt ausfüllen kann, und kreuz und quer durch die Lande tourt, und den Leuten erzählt, daß ohne seinen Großvater aus dem Nationalsozialismus zumindest auf Hiddensee wohl nichts geworden wäre, hätte er nicht immer wieder die Hiddenseer aufgemuntert, zu den Parteiveranstaltungen der NSDAP zu gehen. „Da, wo ich hingehe, da könnt ihr auch hingehen.“ So berichtete mir in Trent ein Hörer die Kernbotschaft seiner dort veranstalteten Lesung. Ja, und nicht nur er, nein, alle Pastoren zumindest in Pommern haben sich so verhalten, schlußfolgert Owe verallgemeinernd. Nur der Pastor hat seine Vergangenheit nicht ausgelöscht, weil er kein schlechtes Gewissen hatte, was ihm nun zum Verhängnis wurde. Natürlich ist es interessant, an Hand dieses Nachlasses Einblick in die damalige Zeit zu bekommen, für die es nun enige überlieferte Zeugnisse gibt, die aber ein sehr einseitiges Bild der damaligen Zeit liefern, weil der Pastor sich rechtzeitig vom Natonalsozialismus distanziert hat. Übrigens waren viele der bekannten Widerstandskämpfer anfangs begeisterte Nationalsozialisten gewesen, bis sie gemerkt haben, was die Nazis für ein Verein waren. Sie sind dann in den Widerstand gegangen. In der Anlage befinden sich Auszüge aus den Biographien von Stauffenberg, Hans und Sophie Scholl, Harro und Libertas Schulze-Boysen. Die Nähe zum Nationalsozialismus hat ihnen die Augen geöffnet, und auch der Pastor hat durch seine Tätigkeit als Zellenwart der NSV die negative Seite des NS-Staates zu spüren bekommen und sich abgewandt. Diejenigen, die dem NS-Regime ferner standen haben das meist gar nicht so mitbekommen. Schließlich gebe ich zubedenken, daß Hitler auf legalem Wege an die Macht gekommen ist, und er hat auch mit seinen ersten Maßnahmen großen Eindruck gemacht und damit das deutsche Volk für sich gewinnen können. Als wichtigste Maßnahme ist wohl die Beseitigung der Arbeitslosigkeit zu nennen. Die anfängliche Begeisterung ist durchaus verständlich und nicht kritikwürdig. Die Nazis haben es verstanden geschickt zu täuschen. Will man nun deswegen die Getäuschten tadeln? Was die Predigten von Arnold Gustavs aus den Jahren 1933 bis 1937 betrifft, so beruhen sie auf üblicher kirchlichen Praxis für die jeweils Regierenden zu beten. Sie stellen also kein politisches Credo dar und enthalten auch kein nationalsozialistisches Gedankengut.

Aber trotz der Wirksamkeit des Pastors mochten ihn die Nazis offenbar nicht, denn sie haben ihn aus ihren Reihen - er war ja Zellenwart der NSV - ausgeschlossen, und zwar schon 1936. Das hängt wohl damit zusammen, daß die Nazis, nachdem sie ihre Macht gefestigt hatten, gegen die Kirche zu Felde zogen und so auch gegen den Hiddenseer Pastor vorgingen, indem sie seine Frauenhilfe zerstörten und den Posaunenchor vernichteten und ihn als Widerständler observierten. Am Ende Ihrer Sendung machen Sie die Bemerkung, daß mein Großvater „so etwas wie ein Widerständler war“, was Sie aber als Familiensaga abqualifiziert haben, also nicht zutreffend sei. Nun gibt es in Owes Buch auf Seite 237 folgenden Passus:

„Unter dem 16. Mai 1946 notierte Gustavs in seinem Tagebuch:

Verhör durch GPO-Offizier. Lebenslauf verlangt. Einladung nach Bergen, Billtothstraße.

Über dieses Verhör berichtet Gustavs wenig später seinem Superintendenten:

Vor einiger Zeit bin ich von der GPU, die auf Hiddensee war, verhört worden. Nun liegt gegen mich nicht das Geringste vor, da ich der NSDAP nicht angehört habe; auch meine Frau und Tochter waren nicht in der Frauenschaft. Ich habe mich sogar von allen Parteiveranstaltungen ostentativ ferngehalten. Daraufhin hatte mich der Ortsgruppenleiter R. Mann bei der Gestapo angzeigt, die mich hat beobachten lassen. Die Akten darüber sind vor einiger Zeit im Gemeindeamt gefunden worden, da dieselben wohl nicht mehr hatten vernichtet werden können. Der Oberleutnant von der GPU zeigte sie mir; sie werden wohl jetzt noch in den Händen der GPU sein. Man wollte von mir Auskünfte allgemeiner Natur haben, da ich schon so lange auf der Insel sei und die Bevölkerung kenne. Ob z. B. der Faschismus auf Hiddensee noch wieder hochkommen könne usw. Ich habe geantwortet, dass ich das für vollkommen ausgeschlossen halte, da alle genug davon hätten.“

In meiner Internetdarstellung habe ich dazu folgendes geschrieben:

„Arnold Gutavs war ab 1937 in den Widerstand gegangen, wie er berichtet. Er war also ein Widerstandskämpfer, denn sich den Anordnungen der Nazis zu widersetzen und sei es nicht der Anordnung zu folgen, die ‚Gemeinschaftsempfänge‘ und andere Veranstaltungen der Nazis zu besuchen, war schon ein Kampf, den man durchstehen mußte. Allerdings war sich Arnold Gustavs dieser Rolle nicht bewußt, weil diese Klassifizierung erst nachdem Ende der NS-Zeit bekannt wurde. Das mußt ihm der russische Offizier erst sagen.

Und an anderer Stelle schreibt Arnold Gustavs:

Den Besuch von Veranstaltungen der NSDAP habe ich ostentativ vermieden. Für dieses Verhalten bin ich vom Ortsgrupenleiter Robert Mann jahrelang verfolgt worden: er hat meine blühende Evangelische Frauenhilfe zerstört und meinen ebenso blühenden Posaunenchor vernichtet. Außerdem hat er mich, wie aus jetzt gefundenen Akten hervorgeht, bei der Gestapo angezigt und mich im Auftrage der Gestapo dauernd beobachtet.“

Dazu schrieb ich im Internet:

„Wenn also wieder eine derartige Veranstaltung stattfand, dann verschwanden seine Frau und Tochter auf Schleichwegen in die Berge, während er selber auf der Dorfstraße spazieren ging, was dann von Robert Mann bei der nächsten Gelegenheit entsprechend gewürdigt wurde: ‚Da gibt es Leute, die gehen in die Kirche, und wenn Gemeinschaftsempfang ist, dann gehen sie auf der Dorfstraße spazieren!‘ Das war also das ‚ostentative‘ (betont auffällige) Fernbleiben von Arnold Gustavs (mündlicher Bericht meiner Großmutter).“

Was soll ich nun dazu sagen. Da wird nun der Hiddenseer Pastor, der von 1938 bis 1945 die Anfeindungen der Nationalsozialisten ertragen mußte, jetzt als Nazi an den Pranger gestelllt! Wollen Sie die oben genannten Widerstandskämpfer nun auch noch an den Pranger stellen, weil sie anfangs Nazis waren? Da wäre doch etwas mehr Sachlichkeit wünschenswert!

Mit freundlichen Grüßen