Arnold Gustavs hat als Pfarrer der Gemeinde Hiddensee eine blühende Frauenhilfe aufgebaut, der z. B. 80% der Frauen in Vitte angehörten. Mit der von der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (N.S.V.) ins Leben gerufenen NS-Frauenschaft sah Arnold Gustavs ein Konkurrenzunternehmen, das er nicht dem Selbstlauf überlassen wollte. So entschloss er sich, der NSV beizutreten, zumal sich der Nationalsozialismus zunächst kirchenfreundlich gab. So glaubte Arnold Gustavs der NS-Frauenschaft seine Frauenhilfe-Erfahrungen beisteuern zu können. (S. 159)*) Schließlich waren es ja alles Frauen seiner Kirchengemeinde und ein Teil seiner Frauenhilfe, aus denen sich die NS-Frauenschaft zusammensetzte. Eine Doppelmitgliedschaft war erlaubt. Über seine Tätigkeit im Rahmen der NSV wird nichts berichtet. Da er nicht geschult worden ist, ist davon auszugehen, dass er sich im wesentlichen von seiner Arbeit in der Frauenhilfe hat leiten lassen, so dass keine NS-spezifischen Aktivitäten eine Rolle gespielt haben werden. Berichtet wird z.B. daß er den Posaunenchor und einen Lichtbildapparat der NS-Frauenschaft zur Verfügung gestellt und heimatkundliche Vorträge gehalten hat. (S.162) Die Behauptung, Arnold Gustavs hätte als „traditionelle Leitfigur” maßgeblich an der Festigung des Nationalsozialismus auf Hiddensee beigetragen (S. 11), ist falsch. Der eigentliche Drahtzieher war neben dem Ortsgruppenleiter Robert Mann der Medizinalrat Dr. Erich Friedel, der als Ortsgruppenschulungsleiter eingesetzt wurde. In einem Brief vom 28. Februar 1934 an Gerhart Hauptmann (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Nachlass Gerhart Hauptmann, GHBrNL D VII, Ordn. 1: Briefe von Erich Friedel an Gerhart Hauptmann) schreibt er:
„Von hier kann ich leider besonders bemerkenswertes nicht berichten. Unser letztes grosses Ereignis war die Vereidigung in Bergen. Wir beide mußten hin, meine Frau als ’Sportreferentin’ und Führerin vom BDM - hierauf, dass sie in den BDM d.h. Bund (nicht Bande, wie Missgünstige meinen) Deutsch. Mädels gekommen ist, ist sie besonders stolz; - und ich als ’Politischer Leiter’. Es war eine anstrengende Sache! morgens 5 Uhr nach Vitte, mit Motorboot bei Dunkelheit und Nebel nach Schaprode und von dort mit Auto nach Bergen. Dann 4 Stunden auf einem Fleck in der Kälte stehen, d.h. alle standen, wir ja nicht, da einige vorzeitig umfielen.“ Und weiter: „Die Gattin bildet sich jetzt auch zum Volksredner aus, hat hier bereits zwei öffentliche Vorträge, und zwar gut, gehalten; die Hiddenseer haben Bauklötzer gestaunt, dass eine Frau sich hinstellt und ganz frei eine stundenlange Rede schwingt! so was ist hier nicht vorgekommen, so lange die Insel besteht. Es ist ihr von der Leitung das Gebiet ’Staatspolitik’ zugewiesen worden; es liegt ja jetzt vor uns die grosse Aufgabe, die ganze nationalsozialistische Gedankenwelt in die grosse Masse zu bringen, eine Aufgabe für Jahrzehnte!”
Im Brief vom 3.1.1936 schreibt Friedel: „Aber hier ist es unterhaltlich genug für uns! Ich habe einen ganz neuen Beruf, einen brotlosen zwar, aber doch erfreulichen bekommen; ich war ja schon immer Kassenleiter und Geschäftsführer in der Partei und bin jetzt auch nach Belehrung in einem Schulungslager als Schulungsleiter bestätigt; als solcher muss ich monatlich 3 bis 4 Vorträge im Lande herum halten, die ich ja nicht mir aus dem Ärmel schütteln kann; dann bin ich noch Ausbildungsmann für das Pistolenschiessen der pol. Leiter geworden, was mir besonderen Spass macht, und endlich sitze ich auch noch als ’Ratsherr’ im Gemeinderat. Das ist allerhand, aber ich tue das gern, weil die Tätigkeit ja doch nicht in Arbeit ausartet. Wir NS-Redner haben es ja leicht, weil wir aus innerster Überzeugung wirklich mit Begeisterung sprechen können; ...”
Wie wenig der Pastor im Kreis der Nationalsozialisten eine Rolle spielt deutet Friedel im Brief vom 10.11.33 an Gerhart Hauptmann an: „... Freilich haben wir zur Aussprache als einzige glühende Seele jetzt nur unsren guten Pastor hier, und diese Aussprachen sind leider etwas uninteressant geworden dadurch, dass der Pastor jetzt fast nur mit Problemen des Nationalsozialismus erfüllt ist, während wir früher die schwierigsten Welträtsel immer spielend gelöst haben; aber das wird vorübergehen!”
Der nationalsozialistische Chefideologe Medizinalrat Dr. Erich Friedel schätzt den Pastor mit seinen NS-Problemen nicht. Aber nicht nur mit Friedel sondern auch mit anderen Protagonisten des Nationalsozialismus gab es ganz offensichtlich keine Harmonie mit Arnold Gustavs, denn sie haben ihn gelegentlich eines geringfügigen Streites wegen der Frauenhilfe aus der NS-Volkswohlfahrt ausgeschlossen. Arnold Gustavs hatte nämlich einer Mutter einen Platz in einem von der Ev. Frauenhilfe geführten Heim angeboten, weil der von der NS-Frauenschaft in Aussicht genommene Platz in einer ungünstigen Jahreszeit lag. Allerdings war dieses Angebot vom Beitritt zur Ev. Frauenhilfe abhängig. Dies wurde aber dem Pastor seitens der NSV verübelt, so daß er mit folgendem Schreiben vom 17.1.1936 aus der NSV ausgeschlossen wurde:
„Betr. Angelegenheit Frau X., Vitte In obiger Angelegenheit habe ich tatsächlich feststellen müssen, daß Sie doch nicht so gehandelt haben, wie es Ihnen zukommen müßte als Zellenwart der N.S.V. Auf Antrag des Ortsgruppenleiters enthebe ich Ihnen Ihres Postens als Zellenwart der N.S.V. Sie können dann um so mehr Ihres Postens als Seelsorger walten, und auch für die Evangelische Frauenhilfe werben. Aber ich mache Ihnen darauf aufmerksam, daß Sie Ihre Werbung, dieses niemals unter dem Deckmantel der N.S.V. oder im Vergleich zu der N.S.-Frauenschaft tun dürfen. Gegen diesen Bescheid steht Ihnen die Beschwerde offen, die auf dem Dienstwege einzureichen ist.”
Die NS-Volkswohlfahrt hat sich nicht nur seiner entledigt sondern man hat ihn auch bezichtigt, gegen die N.S.D.A.P. zu arbeiten.
Arnold Gustavs wurde als Regimewiderständler auf die Schwarze Liste gesetzt und im Auftrage der Gestapo observiert. (S. 237)
Der Konflikt nahm dann seinen Fortgang im Zusammenhang mit dem Erntedankfest, das ja ein ausgesprochen kirchliches Fest ist. Zunächst gestaltete sich die Zusammenarbeit der Kirche mit den Nationalsozialisten freundlich. Im Herbst 1933 wurde zum ersten Male das Erntedankfest im Dritten Reich feierlich begangen. Die Erntekrone wurde im Umzuge durchs Dorf getragen, worauf sich der ganze Zug in die Kirche begab; dort wurde sie vor dem Altare aufgestellt. Die Kirche war überfüllt. Im Jahre 1934 wurde am Erntedankfest anstelle des Gottesdienstes in der Kirche ein Feldgottesdienst in Vitte auf dem freien Platz bei der Mühle von Waldemar Schwarz gehalten, bei dem ebenfalls die Parteiorganisationen und Vereine angetreten waren. (S. 117) Das war auch 1935 so. Am Erntedanktage im Jahr 1936 durfte dann kein Feldgottesdienst mehr gehalten werden. Der Pastor war ja in Ungnade gefallen. So begann der Festumzug um 10 Uhr in Vitte, und der Pastor war so ziemlich allein in der Kirche. Auf diese Weise wurde die Kirche aus dem Erntedankfest ausgeschlossen, das die Nazis jetzt für sich allein in Anspruch nahmen. Eine Wirksamkeit als „traditionelle Leitfigur” ist hier nicht zu erkennen!
Die „Bewegung” erwies sich für Arnold Gustavs nicht als das, was er sich darunter vorgestellt und erhofft und die Nazis vorgetäuscht hatten. Er ging sogar deutlich auf Distanz, wie er 1937 im Memorabilienbuch der Kirche notierte:
„Ich hatte anfangs große Hoffnungen auf den Nationalsozialismus gesetzt, zumal im Programm der N.S.D.A.P. ja steht, daß sich die Partei auf dem Fundament eines positiven Christentums aufbaue. Es ging anfangs auch alles ganz verheißungsvoll. So hatte ich nicht nur große Hoffnungen auf den Nationalsozialismus gesetzt, sondern mich auch nach Kräften bemüht, die Lage zum Bau der Kirche Gottes zu nutzen. Nie in meinem Leben sind mir Hoffnungen gründlicher zerstört worden.” (S. 180)
*) Die Seitenzahlen beziehen sich auf die Schrift von Owe Gustavs: Reichsgottesdienst auf Hiddensee 1933-1945; Arnold Gustavs - Inselpastor im Dritten Reich. 2008 EditionAndreae Hiddensee, Berlin 2008 Lexxion Verlagsgesellschaft mbH. ISBN 978-3-939804-41-3.
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